Heimweh im Paradies

 

Zwein Wochen Galapagos hatte ich gebucht. Eine lange Zeit im Paradies und ich konnte es kaum erwarten. 

 

Als ich dann ankam, der erste Tiefpunkt. Auf Galapagos schien man nur mit seinem Partner, seiner besten Freundin zu reisen oder man war Rentner und konnte es sich leisten. 

 

Der erste Abend war also etwas ernuechternd und ich schon etwas depremiert, keiner dieser mir wichtigen Personen bei mir zu haben. 

 

Nie hatte ich Heimweh. Auf keiner meiner Reisen, nicht einmal in Frankreich, als meine Gastfamillie meinen Geburtstag vergass. Natuerlich war ich ab und an traurig oder habe meine Heimat und meine Leute dort vermisst, aber Heimweh ? Ich wusste nicht, wie sehr das weh tun konnte. 

 

Wer mich kennt, weiss dass ich ein grosser (oder eher kleiner) Tollpatsch bin. Natuerlich machte das auch nicht auf Galapagos vor mir halt. 

 

Am zweiten Tag, mitten zwischen Palmen, Sonne und blauem Ozean ging mein Telefon kaputt. Meine einzige Kamera, mein einziger Kontakt zu meinen Lieben. 

(Wie ich das wieder geschafft habe, werde ich hier nicht schreiben, weil ihr mich entweder total auslachen oder mir nie wieder ein Handy in die Hand geben wuerdet).

 

Von einem Moment auf den anderen war er also weg. Dieser Kontakt. 

Wir sind es so gewohnt, in zwei Sekunden eine Nachricht schreiben zu koennen, dass uns ein Leben ohne diesen Luxus unmoeglisch scheint. Fuer die, die denken: Zwei Wochen ohne Telefon? Klar, das mache ich mit Links. Glaubt mir. Das dachte ich auch. Aber wenn man sich so eine Detox-Zeit vorstellt, dann wohl immer in der Naehe seiner Lieben. Nicht weit weg. Nicht so weit weg. 

 

Da stand ich also. Mitten in Galapagos. Am zweiten Tag eines Urlaubs, der eigentlich der beste meines ganzen Jahres werden sollte. Ohne Kamera. Ohne Handy. 

 

Von einem Moment auf den anderen wurde mir klar: "Verdammt, ich bin in Ecuador." Auf einmal war ich ganz allein. 

 

Das Schlimmste war wohl gar nicht der Kamera-Verlust, sondern der Kontaktverlust. Auf einmal spuerte ich diese 10.000 km zwischen mir und meiner Heimatstadt ganz deutlich. Auf einmal bemerkt man, wie weit man wirklich weg ist . Vorher war ich mit vielen meiner Gerdanken in Deutschland und nun musste ich mich mit mir selbst beschaeftigen. 

 

Die ersten Tage habe ich die Stunden gezaehlt, in denen ich endlich wieder in Esmeraldas sein wuerde. Endlich wieder bekannte Gesichter, endlich keine Paerchen in ihren Flitterwochen. 

 

Als ich die ersten Morgene aufwachte, war mir schlecht. Ich hatte keinen Appetit, wollte am liebsten mit dem naechsten Flugzeug zurueck fliegen. Das war es also. Dieses Heimweh. Ich hatte Heimweh, an einem Ort, an dem ich eigentlich gluecklich haette sein sollen. Heimweh im Paradies. Und da war keiner, mit dem ich einfach mal telefonieren konnte, dem ich schreiben konnte, wie sehr ich ihn vermisse, mit dem ich meine Erlebnisse teilen konnte. Ich habe mich in meinem Leben wohl noch nie so einsam gefuehlt. 

 

Mein bester Freund in diesen zwei Wochen war mein Tagebuch. Nie hatte ich wirklich Tagebuch geschrieben. Ich hatte ja Fotos, mit deren Hilfe ich mich erinnern konnte, Freunde, mit denen ich meine Erlebnisse teilen konnte. 

 

Nun hielt ich alles schriftlich fest. Vom kleinen Spatz, der mit mir zusammen fruehstueckte, bis zur Iguana, die mich mit ihrem Salzwasser vollpustete. 

 

Ich brauchte etwas, was ich in 10 Jahren lesen  und mit dem ich mich an jede Sekunde erinnern konnte. 

 

Fotos? Ich fand Saetze wie: "Am Ende gehen wir nicht mit Fotos sondern mit Erinnerungen". " Ein Handy ist nur materiell. Erinnerungen kann man nicht ersetzen". "Wie oft schaut man sich Fotos auch an? Ein oder zweimal im Jahr?". 

 

Und ich sah die Menschen viel deutlicher, die wie ich vorher, auf der Jagd nach dem besten Foto waren. Die den Moment nicht mit ihren eigenen Augen geniessen konnten, sondern die Welt nur durch ihre Kamera sahen. Menschen die ein Selfie vor einem Ort machten, den sie sich nicht einmal angeschaut hatten oder die sich vor einer wunderschoenen Natur ihre Bilder ansahen, ohne zu geniessen. 

 

Doch ein Handy ist nicht nur eine Kamera oder ein Kontaktmittel. Es ist ein Wecker, es ist eine Bank, ein Reisefuehrer, ein offenes Buch, ein Stadtplan. Es ist heute so viel mehr als nur ein Telefon. Und aufeinmal fiel all das weg. Keine Technik mehr. 

 

Ein Auslandsjahr vor 40/50 Jahren? Ich habe nun so einen Respekt davor. Wenn meine Mutter von ihrem Jahr in Venedig erzaelte, und meinte, sie haette nur Karten schreiben koennen, dachte ich mir nichts dabei. 

Das war ja damals normal. Wird schon nicht so schlimm gewesen sein, dachte ich. 

 

Ich habe so unglaublich viel Respekt vor den Leuten bekommen, die damals reisten und kein Foto machen, den Moment nicht einfangen und zuhause nicht vorzeigen konnten. 

 

Ich habe durch mein Tollpatschigkeit so viel gelernt. So viele neue Erfahrungen gesammelt und gelernt, mit den Augen zu geniessen. 

 

Doch ich muss ganz ehrlich sagen, ich moechte auf Dauer nicht so leben. Ich moechte Momente wieder festhalten, den Personen, die mir wichtig sind, wieder schreiben und meine Erfahrungen teilen. Ich moechte mir wieder einen Handy-Wecker stellen und keine Angst haben, am naechsten Tag nicht von der Hostel-Rezeption geweckt zu werden und verdammt ich moechte endlich wieder meine Kopfhoerer aufsetzen und die Welt um mich rum ausschalten. 

 

Ich habe die Erfahrung gemacht und bin stolz auf mich. Ich habe dazu gelernt und bin am Heimweh gewachsen. Heimweh im Paradies. Das hat schon seine zwei Seiten und hat mir viel gezeigt. 

 

Wer haette gedacht, dass mich Ecuador so veraendet und mich so wachsen laesst. Das Jahr in Frankreich ? Nicht verleichbar, mit dem, was ich hier lerne. 

 

Gruesst mir die Ostsee. Ich vermisse euch. Mehr, als ich manchmal zugebe. 

Auch kleine Weltenbummler vermissen ihre Heimat. Doch ueber das Heimweh bin ich erstmal hinweg und ich hoffe, dass es nie wieder zurueckkommt. 

 

Eure Marie